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Katastrophenhilfe – mögliche Aufgaben von Ingenieuren des konstruktiven Ingenieurbaus

Der Bauingenieur ist im Rahmen der Katastrophenhilfe vor allem in der Vorsorge, bei der Einsatzunterstützung und in der Nachsorge tätig. Darüber hinaus kann er Katastrophenkräfte schulen und Entscheidungshilfemodule als Teile von Katastrophenmanagementsystemen schaffen. Ist die erste Phase der Hilfe erfolgreich verlaufen, begutachten und bewerten Bauingenieure bauliche Anlagen u. a. im Hinblick auf Schäden, Resttragfähigkeit, Sanierbarkeit und Ertüchtigung.

In der Vorsorge werden bauliche Anlagen so errichtet und geschützt, dass im Katastrophenfall die Gefahr für Leib und Leben sowie Infrastruktur und Einrichtungen auf ein akzeptables Maß reduziert wird. Tritt der Katastrophenfall ein, sind zunächst die speziell ausgebildeten Hilfskräfte vor Ort, um die Gefahr für Leib und Leben zu minimieren. Dabei können Management- und Entscheidungshilfesysteme eingesetzt werden, die von Ingenieuren entwickelte Module enthalten, um z. B. die Einsturzgefahr von Gebäuden in erster Näherung abschätzen zu können.

Katastrophenschutz und Katastrophen Eine Katastrophe ist ein Geschehen, bei dem Leben oder Gesundheit einer Vielzahl von Menschen oder die natürlichen Lebensgrundlagen oder bedeutende Sachwerte in ungewöhnlichem Ausmaß gefährdet oder geschädigt werden und die Gefahr nur abgewehrt werden kann, wenn unter Leitung der Katastrophenschutzbehörde die im Katastrophenschutz mitwirkenden Behörden oder Organisationen und die eingesetzten Kräfte zusammen wirken. Der Katastrophenschutz obliegt dem Bundesministerium des Innern (BMI) und seinem Bundesamt für Bevölkerungs- und Katastrophenschutz (BBK), den Innenministerien der Länder, den Bezirksregierungen und darunter den Landkreisen. Als Organisationen agieren Feuerwehren, Polizei, das Technische Hilfswerk (THW) sowie Rettungsdienste. Diese bedienen sich gegebenenfalls spezieller Fachexpertise, auch der von Bauingenieuren. Deshalb sind bei den Innenministerien (in Bayern: Oberste Baubehörde) die Kontaktdaten von z. B. Prüfingenieuren hinterlegt. Katastrophen können Naturkatastrophen (Erdbeben, Hochwasser, Tsunami, Tornado, Schnee, Eis, Lawinen, Hangrutschungen, Feuer), technische Katastrophen (Explosionen, Feuer, Einstürze, Havarien) oder von Menschen mutwillig herbei geführte Katastrophen (Feuer, Explosionen, Beschuss, Einstürze) sein. Nur Letztere sind gar nicht einschätzbar; man spricht von asymmetrischen Bedrohungen. Naturkatastrophen und technische Katastrophen sind in einem gewissen Maße einschätzbar, weil durch Erfahrungen, Beobachtungen, Studien und Nutzungsbestimmungen die Gefährdungen "quantifizierbar" werden. Risikostudien werden insbesondere von Rückversicherern durchgeführt. Ingenieure müssen Gefährdungen umsetzen in "Einwirkungen" auf bauliche Anlagen. Hierfür gibt es ganz speziell die Erdbebennormen EC 8 und DIN 4149, sowie den EC 1 bzw. die DIN 1055 – Einwirkungen auf Bauwerke. Deren Teil 9 regelt die "Außergewöhnlichen Einwirkungen". Diese sind gemäß DIN 1055: Anprall, Aufprall, Explosion, Detonation. Damit können bauliche Anlagen unter Beachtung normativ festgelegter, gesellschaftlich akzeptierter Risiken grundsätzlich geschützt werden vor Erdbeben, Sturm, Schnee, Brand, Anprall, Explosion. Das heißt aber nicht, dass bei Eintreten außergewöhnlicher Einwirkungen die Tragwerke schadensfrei sind. Es müssen "nur" die Schutzziele (Menschen, Einrichtungen, …) gewährleistet sein. Katastrophenkräfte treffen also i. d. R. im Einsatz auf geschädigte bauliche Infrastruktur. Hier ist der Bauingenieur ein guter Partner. Für sogenannte kritische Infrastrukturen (s. z. B. BBK) sind planmäßig besondere außergewöhnliche Einwirkungen der Konstruktion und der Bemessung zu Grunde zu legen. Das sind beispielhaft Maßnahmen des vorbeugenden Katastrophenschutzes.

Hochwasser - Vorsorge

In Bayern ist beim Hochwasserschutz die Wasserwacht als Einheit des Bayerischen Roten Kreuzes (BRK) bzw. Deutschen Roten Kreuzes (DRK) zuständig. Sie bildet ehrenamtliche Helfer zum "Fachberater Hochwasserschutz" aus. Hierfür hat die Universität der Bundeswehr gemeinsam mit der Wasserwacht ein Weiterbildungsmodul erarbeitet, das die Elemente Wasserwirtschaft, Geotechnik und Statik beinhaltet. Es werden im Hinblick auf den Hochwasserschutz jeweils die Grundlagen der Teildisziplinen vermittelt und einfache Abschätzungsformeln für ausgewählte Beispiele hergeleitet. Themen aus dem Bereich der Statik sind: Ermittlung des Wasserdruckes infolge statischer und dynamischer (Hydrostatik) Belastung, Auftrieb und Auftriebssicherung, Entscheidungshilfen zum Fluten von Gebäuden, Abschätzen von Gleiten, Kippen und Aufschwimmen infolge von Wasserdruck, Unterspülung und Überströmung, Beispiele von Schäden an baulichen Anlagen, bauliche Schutzmaßnahmen als mobile Hochwasserschutzsysteme und deren Bemessung, sowie Erstellung einer sogenannten Taschenkarte zur schnellen Abschätzung von Maßnahmen. Der Lehrgang schließt mit einigen Berechnungsbeispielen und Fragen zum Selbststudium ab.

Hochwasser – Unterstützung der Rettungskräfte und Nachsorge

Zwischen dem 20. und dem 23. August 2005 spendete das Tief "Norbert" über dem Balkan, Süddeutschland und Österreich derart große Regenmengen, dass es zu verheerenden Überschwemmungen und Zerstörungen kam, und in Österreich der Katastrophenfall ausgerufen wurde (Alpenhochwasser 2005). Es kam zu Hangrutschungen, Muren gingen ab, Straßen wurden fortgespült, Brücken weggerissen, Fundamente von Galerien, Verbauungen, Brückenpfeilern und Gebäuden unterspült, Wildbäche wurden zu reißenden Strömen mit einer enormen Geschiebefracht, die durch Ortschaften und in Häuser gespült wurde. Ganze Ortschaften waren verkehrstechnisch zu Lande und zur Luft abgeschnitten, aber ebenso von der Wasser- und Energieversorgung. Selbst das mobile Telefonnetz fiel aus. Besonders betroffen war in Vorarlberg die Gemeinde Lech am Arlberg.

Hier wie andernorts wurde in der Nacht vom 22. auf den 23. August auf der Ebene der Gemeinde ein Krisenstab eingerichtet und Polizei, Feuerwehr und Tiefbauunternehmer mit schwerem Gerät aktiviert, um z. B. Hilfsdämme zu errichten. Gefährdete Häuser und Hotels wurden evakuiert, Menschen in Sicherheit gebracht und wichtigste Dinge (Computer, Fertigungsanlagen, wertvolles Mobiliar etc.) gerettet. Am 23. August war eine Luftrettung noch immer nicht möglich, jedoch ließ der Regen nach und das mobilisierte Bundesheer wurde in Marsch gesetzt. Jetzt wurde nach "Statikern" gefragt, die die beschädigte bauliche Infrastruktur begutachten sollten. Es war die Frage zu beantworten, ob die Evakuierten die Häuser wieder betreten konnten, oder ob evakuierte Hotelgäste ihre zurückgelassene Habe holen konnten. Als nächstes ging es darum, Sicherungsmaßnahmen zur Einsturzsicherung bei baulichen Anlagen, die offensichtlich stark betroffen waren, gemeinsam mit Bauunternehmern zu überlegen und durchzuführen. Weiterhin wurden Schlüsselinfrastrukturen (Straßen, Galerien, Tunnel, Brücken, Liftanlagen usw.) begutachtet, um sie gegebenenfalls freigeben zu können. Darüber hinaus wurde es erforderlich, Räumungsarbeiten mit zu koordinieren, damit es dabei nicht zu Folgeschäden kam. Im Anschluss an diese unmittelbar für das öffentliche Interesse notwendigen Untersuchungen trat das Interesse von Eigenheimbesitzern und Hoteliers in den Vordergrund, die baulichen Schäden aufzunehmen, zu bewerten und Sanierungsvorschläge zu erarbeiten. Es zeigte sich, dass wegen der hohen Schneelasten (bis zu 50 kN/m2) die Gebäude sehr massiv gebaut wurden und werden, so dass Wände kaum beschädigt waren. Die Geschiebemengen in den Gebäuden führten jedoch zur rechnerischen Überlastung von Decken und zu Rissen. Gebäudeeinstürze gab es zum Glück nicht. Das Alpenhochwasser 2005 forderte insgesamt ca. 30 Todesopfer und verursachte ca. 3 Milliarden € Sachschäden. Es hat sich gezeigt, dass der Sachverstand von Bauingenieuren sowohl bei der Einsatzunterstützung als auch bei der Nachsorge von großem Nutzen ist. Aufgrund der Analyse der Hochwasserkatastrophe wurden verschiedene bauliche Hochwasserschutzmaßnahmen geplant und realisiert: Hangsicherungen, Vergrößerung von Durchlässen, Geschiebeauffangbecken, Rückbau von Kanalisierungen, pfeilerfreie Brücken, Wasserrückhaltebereiche, Siedlungsverbote, Erhöhung von Deichen und Begrenzungsmauern, Murenführungsbauten, Vorwarnsysteme, Monitoring-Systeme usw.

Einsturz der Eishalle in Bad Reichenhall

Der Schneewinter 2005/2006 begann bereits im November mit starken Schneefällen und dauerte bis Ende März 2006. Er war einer der strengsten Winter des letzten Jahrhunderts. Am 26. November 2005 führten starke Schneefälle im Bergischen Land und im Münsterland zu chaotischen Zuständen und zum Einsturz von Masten der Energieversorgung. Direkt nach der Jahreswende verursachten starke Schneefälle Dacheinstürze vor allem in Deutschland, Österreich, Ungarn und Polen. Dabei kamen sehr viele Menschen ums Leben. Am 2.1.2006 stürzte in Bad Reichenhall um 15:54 Uhr das Dach der Eislaufhalle ein. Dabei kamen 15 Menschen ums Leben, 34 wurden verletzt. Polizei und Feuerwehren waren unmittelbar vor Ort, dazu kamen Einsatzkräfte des THW und Kräfte der Bergrettung mit Such- und Lawinenhunden. Es ging darum, die Verschütteten möglichst lebend zu bergen. Dafür mussten das eingestürzte Dach und die Restkonstruktion, insbesondere die Stahlbetonstützen, stabilisiert werden. Sowohl die Verschütteten als auch die Rettungskräfte waren zu schützen. Für diese Maßnahmen wurden Bauingenieure aus der Region noch am Abend des 2.1.2006 hinzu gezogen. Sie ordneten die Stabilisierung durch Mobilkrane und die Überwachung von Konstruktionsbewegungen durch Vermessungsteams an. Unter den Augen der Bauingenieure und der Einsatzleitung erfolgten die Rettungsarbeiten, die insgesamt zwei Tage dauerten.

Zwischenzeitlich beauftragte die Staatsanwaltschaft Traunstein besonders befähigte Bauingenieure als Gutachter, die im Juli 2006 ihre Gutachten vorlegten. Der Bayerische Staatsminister des Innern, Dr. Günter Beckstein, berief unmittelbar nach der Katastrophe eine Expertengruppe "Bad Reichenhall" ein und verfügte die sofortige Überprüfung von Dachkonstruktionen. Die Arbeitsgruppe wurde vom Innenstaatssekretär Georg Schmid geleitet und bestand aus Vertretern der Obersten Baubehörde, der Kammern, der Städte und Gemeinden, der Ingenieurverbände, der Bauindustrie, der Versicherungswirtschaft und der Wissenschaft. Die Arbeitsgruppe sollte mit ihrer breiten Fachexpertise den Innenminister beraten und Vorschläge zur Vermeidung solcher Katastrophen erarbeiten. Ein Ergebnis waren die "Hinweise für die wiederkehrende Überprüfung der Standsicherheit". Dieses Papier wurde von der Konferenz der Bauminister der Länder quasi übernommen und Ende 2006 vom Bundesbauminister erlassen. Die Fachgruppe Bautechnik im VDI hat aus dem Papier die VDI-Richtlinie 6200 - Standsicherheit von Bauwerken - Regelmäßige Überprüfung - erarbeitet, die seit Oktober 2008 vorliegt. Diese VDI-Richtlinie ist rechtlich verbindlicher als "Hinweise". Die Schneelastnorm DIN 1055-5 wurde angepasst.

Die Katastrophe von Bad Reichenhall führte zu einem weltweiten Medieninteresse, der "Statiker" war plötzlich wieder im Focus der Öffentlichkeit. Im März 2006, genau zu dem Zeitpunkt, als es wieder sehr starke Schneefälle gab, drehte ein Team des National Geographic Channel aus USA einen Dokumentarfilm über den Einsturz der Eishalle in Bad Reichenhall. In dem Zusammenhang wurden auch Bauingenieure in ihren Büros interviewt zur Frage, wie man sicher plant und konstruiert. Darüber hinaus wurden Laborversuche an Leimbindern durchgeführt. Die Sendung lief in den USA unter dem Titel "The Death Trap". Auch beim Einsturz der Eishalle in Bad Reichenhall hat sich gezeigt, dass Bauingenieure vorbeugend tätig sind, Einsatzkräfte unterstützen, die Problematik aufarbeiten und Konsequenzen ziehen, die Öffentlichkeit informieren und Experten weiterbilden.

Erdbeben - China 2008

Erdbeben sind die verheerendsten Naturkatastrophen weltweit. Am 12. Mai 2008 ereignete sich in der chinesischen Provinz Sichuan ein schweres Erdbeben, das nahezu 70000 Menschen tötete, fast 400000 verletzte und 6 Millionen Menschen obdachlos machte. Deutschland hat in der Region Liegenschaften. Die MJG Ingenieur GmbH aus München wurde damit beauftragt, das deutsche Generalkonsulat in Chengdu im sogenannten Western Tower zu begutachten und gegebenenfalls die Freigabe zur Weiternutzung zu erteilen. Den Bauingenieuren bot sich ein verheerendes Bild der Zerstörung. Neben intakten Gebäuden waren ganze Siedlungen dem Erdboden gleich. Für das deutsche Generalkonsulat konnte Entwarnung gegeben und die weitere Nutzung empfohlen werden. Deutschland überprüft seit vielen Jahren die bundeseigenen Liegenschaften im Ausland im Hinblick auf ihre Standsicherheit bei außergewöhnlichen Einwirkungen zur Vermeidung von Katastrophen.

Abschließende Bemerkungen

Der Katastrophenschutz ist in Deutschland im Grunde dezentralisiert herunter bis auf die Gemeindeebene. Im Bedarfsfall wird "nach oben" gemeldet und der Katastrophenfall ausgerufen, so dass im nationalen Interesse auch die Bundeswehr einbezogen wird. Dass Bauingenieure in vielfältiger Weise im Katastrophenfall helfen können, haben die Beispiele gezeigt. Ob eine institutionelle Einbindung besonders befähigter Bauingenieure möglich und sinnvoll ist, das ist zu beraten. Derzeit erfolgt die Einbindung eher nach dem Zufallsprinzip, unabhängig davon, ob eine einschlägige Erfahrung vorliegt oder nicht. Hier wäre es sinnvoll, den Einsatzorganisationen Entscheidungshilfesysteme an die Hand zu geben, die bereits die Kontaktdaten von Verbänden oder speziell ausgebildeten und erfahrenen Bauingenieuren enthalten. Derartige Systeme könnten z. B. im Rahmen des nationalen Sicherheitsforschungsprogramms erarbeitet werden.

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  • Veröffentlicht am:
    14.03.2013
  • Geändert am:
    11.12.2014