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Verteilte Sensortechnik in der Bauwerksüberwachung

Werden lichtleitende Sensormatten die Baumesstechnik revolutionieren? Werden kostengünstige Fasernetze auf Kriechhängen und auf U-Bahn-Baustellen bald die Verwendung von traditionellen geophysikalischen Instrumenten ersetzen? Eines scheint sicher: Unter dem Namen "verteilte Sensortechnik" kündigt sich eine technologische Entwicklung an, die die Bauwerksüberwachung verändern wird.

Auch wenn optische Messmethoden in der Physik längst bekannt sind – in der Ingenieurpraxis und auf Baustellen spielten sie bisher kaum eine Rolle. Eine neuartige Gattung von Sensoren – lichtleitende Fasern aus Glas oder Kunststoff – erschließt jetzt völlig neue Anwendungsmöglichkeiten in der Sicherheitsüberwachung von Bauwerken. Die kontextsensitiven Geotextilmatten wurden eigens für die Zustandsbestimmung von in der Erde gegründeten Bauwerken – Deiche, Dämme, Hänge und Halden – entwickelt. In die Fasermatte integriert ist ein Glas- oder Kunststoffkern. Durch ihn wird ein Lichtimpuls gesendet. Verändern sich die Außeneinflüsse an einer beliebigen Stelle entlang der Messfaser, ändert sich das optische Signal. Diese Signaländerung löst in der Folge eine Warnmeldung aus, mit der die Größe und Lage der Zustandsänderung erkannt werden kann. Die Sensormatten haben eine Länge von 10–100 m und können oberirdisch oder unterirdisch verlegt werden. Sie detektieren im Untergrund Setzungen, an der Oberfläche Dehnungen und in eine Bohrung eingebaut Neigungen und Setzungen. Sie reagieren auf die Temperaturverteilung und messen – in der neuesten Generation – auch die Feuchteverteilung – ein wichtiger Parameter bei der Sicherheitsüberwachung von Deichen und Dämmen.

Lückenfreie Lokalisierung und benutzerfreundliche Visualisierung von Anomalien

Neu und benutzerfreundlich ist auch die Sammlung und Visualisierung der gesammelten Geoinformationen. Ein Rutschhang beispielsweise, der beobachtet werden soll, wird mit Mattenstreifen versehen, in die als Alarmsystem ein Datalogger integriert ist. So entsteht ein einfaches und zuverlässiges Alarmsystem, das via Funk und GPS den aktuellen Status an einen Leitstand oder ein Security Cockpit meldet. Ein Gutachter muss nicht länger eine Unzahl von Messergebnissen kontinuierlich beobachten und auswerten, um seiner Sorgfaltspflicht gerecht zu werden. Die von ihm definierten Grenzwerte kann er in das System vor Messbeginn eingeben und sie auch nach Verlegung der Sensormatte jederzeit nachführen. Bei einer auftretenden Anomalie wird er per Weck- und Alarmfunktion proaktiv informiert. Die an hunderten von Messpunkten generierten Informationen werden aggregiert und grafisch aufbereitet. Nach der Alert-Meldung kann der Gutachter auf einen Blick den Ort und die Größe der Anomalie auf einem aussagekräftigen Schaubild erkennen.

Verteilte Sensortechnik vs. traditionelle Messinstrumente

Die verteilte Sensortechnik ist in der Lage, an jedem beliebigen Punkt der Messfaserlänge Zustandsänderungen und Anomalien festzustellen. Mittlerweile ist die Ortsauflösung ‹ 1 cm. Das ermöglicht ein lückenloses Monitoring der Bauwerkssicherheit. Eine derart engmaschige geophysikalische Instrumentierung ist mit traditioneller Messtechnik aufgrund des Budgets und des Arbeitsaufwandes für die Einbauarbeiten quasi nicht möglich. Welche Baufirma würde beim Autobahnbau die Baustelle für zwei Monate stilllegen, weil 1000 Einzelsensoren eingebaut werden müssen? In jeder Ecke einen Einzelsensor zu setzen, ist wirtschaftlich nicht machbar. Deshalb verlässt man sich auf Erfahrungswerte und akzeptiert ein Restrisiko. Dieses Restrisiko besteht in der Horrorvorstellung, dass das Zimmer plötzlich brennt, nur weil der Sensor im falschen Raum ist. Bedeutet also die verteilte Sensortechnik das Ende einer Ära, das Verschwinden der konservativen Messtechnik? Rainer Glötzl, einer der Väter der verteilten Sensortechnik in der Baumesstechnik, sieht das anders: "Die Messmatten sind keine Konkurrenz zur klassischen geophysikalischen Instrumentierung. Aber sie perfektionieren deren Einsatz- und Verwendungsbereich. Man kann, bei einem Kriechhang etwa, für wenig Geld Messmatten verlegen, um Anomalien frühzeitig zu identifizieren. Im zweiten Schritt kommen dann die punktgenaue Messung der Verformungen und ihre Überwachung zum Zuge – durch traditionelle Messgeräte wie Extensometer, Inklinometer oder Spannungsmonitorstationen." Laut Rainer Glötzl findet durch den Einsatz der geotextilen Fasermatten ein vorgelagertes und budgetschonendes Risiko-Management statt – zunächst eine kostengünstige und lückenfreie Lokalisierung und Visualisierung von Anomalien, danach die genauere Beobachtung und Begutachtung durch eine konservative Instrumentierung, zum Nutzen aller beteiligten Parteien. "Unterm Strich entsteht so ein Ergebnis, was sich jeder Bauherr, jeder Gutachter, jede Versicherung wünscht: ein deutlich höheres Sicherheitsniveau bei deutlich geringeren Gesamtkosten", so Rainer Glötzl weiter.

Feldtest auf Rügen

Die optoelektronische Messmethode wird zurzeit in mehreren Feldtests international evaluiert. Spektakuläre Versuchsreihen sind u. a. in der Hafenstadt Lohme auf der Insel Rügen geplant. Dort sind Teile des Kalkfelsens, des touristischen Wahrzeichens der Insel, abgebrochen. Die unterschiedlichen geologischen Formationen auf der Insel eignen sich in hohem Maße, um unterschiedliche sensortechnische Entwicklungen zu testen und zu kalibrieren. Gleichzeitig werden detaillierte Informationen über Boden- und Felsbewegungen ermittelt, um die Abbrüche im Kalkstein zu beobachten und zu stabilisieren. Die Entwicklung der verteilten Sensortechnik wird von der Bundesanstalt für Materialtechnik (BAM) betrieben – hinsichtlich der geotechnischen Applikationen in enger Forschungspartnerschaft mit dem Unternehmen Glötzl. Das Familienunternehmen ist seit über 50 Jahren Pionier und Wegbereiter bei der Standsicherheitsüberwachung von Bauwerken und zählt zu den weltweit führenden Experten in der Baumesstechnik.

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    3447
  • Veröffentlicht am:
    30.04.2012
  • Geändert am:
    18.01.2017